03.09.2023 Halifax. Tag 108 – 6538 Kilometer

Ich bin am Ziel

Heute geht es das letzte Mal in den Sattel. Das passiert mit dem gleichen Gefühl, wie die vielen anderen Tage zuvor auch. Es ist so normal geworden, auf dem Rad zu sitzen und sich aus eigener Kraft von einem Ort zum anderen zu bewegen. Nicht, dass das jetzt so weiter gehen muss. Was ich aber selbst nicht erwartet habe, es hat mich nicht ein einziges Mal Überwindung gekostet, auf das Rad zu steigen.

Das ist heute nicht anders als sonst. Das letzte Stück der Strecke zwischen Pazifik und Atlantik mißt knapp siebzig Kilometer. Die Herausforderung sind aber die Steigungen, die ich heute klettern muss. Das sind wieder sechshundert Höhenmeter. Der mentale Vorteil ist, das Meiste kann ich in einem langen Anstieg abarbeiten.

Zum Greifen nah

Unruhig, wie ich doch war, rollte ich schon kurz nach Sieben vom Hof. Die erste Stunde ging es flach zu. Eine schöne Gelegenheit, sich warm zu fahren. Ich hatte auch Muße, mich mit der Landschaft zu beschäftigen.

Unmittelbar bevor es in die große Steigung ging, taucht neben der Straße ein Schild auf. Die Straße wäre gesperrt. Das habe ich ignoriert. Meistens wird nur am Straßenbelag gearbeitet. Heute ist Sonntag. Da wird keiner auf der Baustelle sein und ich kann mich vorbei schleichen, dachte ich. Nach ein paar hundert Metern sah ich das Drama. Eine Brücke war wohl durch das letzte Unwetter weg gespült worden. Es gab keine Alternativroute außer der Autobahn. Sie scheidet aus. Also holte ich das Gepäck von Rad und trug erst das Rad und dann das Gepäck über das Geröll auf die andere Seite.

Das letzte Dilemma
Das erste Fahrzeug nach dem Loch in der Straße. Kein Postauto. Die sind in Kanada nicht gelb.

Das sollte dann auch die letzte Überraschung meiner Tour sein. Den letzten Teil der Strecke war ich in den Vororten von Halifax unterwegs. Das Navigieren durch das Umland von Großstädten ist immer nervig. Der Verkehr, zumindest hier in Halifax, sieht Fahrräder nicht vor. Ich bin die meiste Zeit auf vierspurigen Straßen unterwegs. Entsprechend bedient war ich. Es gab nichts, was sich gelohnt hätte, zu fotografieren. Industriegebiete, Einkaufszentren, Industriegebiete, Einkaufszentren u.s.w.

Morgen ist Labour Day, ein Feiertag in Kanada. Da habe ich Gelegenheit und Muße mir die Stadt anzuschauen. Bestimmt finde ich auch etwas Ansehnliches.

Das war es jetzt mit meiner langen Reise durch das schöne und so vielfältige Kanada. So etwas macht man, zumal in meinem Alter, kein zweites Mal. Ich muss die Eindrücke auch nicht toppen. Die Erfahrungen mit dem Land und vor allem den Menschen, hätte ich anders auch nie gemacht. Ich bin froh, eine Frau zu haben, die mich immer bestärkt hat. Drei Monate weg von zu Hause, das ist keine Selbstverständlichkeit in einer Beziehung.

Mein Fazit: hast Du einen Traum, setze ihn um, auch wenn es illusorisch oder zu verrückt erscheint. Viele kleine Schritte machen eine Reise aus. Man muss nur den ersten tun, dann wird das Ziel mit jedem weiteren Schritt immer realistischer. Man lernt nicht nur ein fremdes Land, neue Menschen, sondern auch sich selbst besser kennen.

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02.09.2023 Windsor. Tag 107 – 6469 Kilometer

Mein Standort heute Abend

Für die vergangene Nacht bin ich in einem Biker-Motel abgestiegen. Die älteren Herren waren alle sehr interessiert an meinem Trip. Verpetzt hat mich Lory, die Betreiberin des Motels. Ich würde also nach Strich und Faden ausgefragt. Einige der Biker fahren selbst Fahrrad, einer hat in Deutschland seinen Wehrdienst gemacht. So hat jeder irgendeinen Bezug zu mir. Der Lory mußte ich versprechen, unterwegs einen botanischen Garten zu besuchen. Ein Foto von mir musste noch gemacht werden. Ich musste mich nach dem Frühstück „losreißen“, sonst wäre ich erst mittags auf das Rad gekommen.

Immerhin zweistellig.

Es war wieder sehr frisch und neblig. Ich bin froh mein aggressives Rücklicht zu haben. Es war am Samstag früh nicht viel los auf der Straße, aber ganz geheuer war mir das ohne Licht nicht zumal es keinen Standstreifen gab. Ich war also auf der Fahrbahn unterwegs.

Einsamer Samstag Morgen

Heute habe ich noch einmal einen großen Brocken zu schultern. Es geht über fast einhundertundzwanzig Kilometer nach Windsor. Die erste Hälfte war ohne nennenswerte Steigungen zu bewältigen. Die sechshundert Höhenmeter standen dann alle in der zweiten Hälfte der Etappe zu Debatte.

Die Zweiteilung der Strecke traf auch auf die Umgebung zu. In der ersten Hälfte war noch viel „Landschaft“. Dann reihte sich ein Ort an den anderen. Herausragend war Wolfville. Hier gibt’s ein Arkadische Gemeinde mit eigener Universität. Die Arkadier sind eine französischstämmige Bevölkerungsgruppe, nicht zu verwechseln mit den Quebec-Franzosen. Der Ort wirkte lebendiger und bunter als die anderen.

Noch ist alles schön grün…
Kentville. Eine der Städte auf der Strecke
Wolfville. Schon wohnlicher und lebendiger

Die letzten Hügel zogen sich und ich war froh am Ziel zu sein. Der Ortsname Windsor klingt gewaltig. Das weckt Erwartungen. Leider wurde ich enttäuscht. Die Stadt ist irgendwie schmucklos. Sie liegt an der Mündung des Avon Rivers. Die Gezeiten lassen das Wasser “ bergauf strömen. Das ist dann eine braune Brühe die vom Meer aus bei Flut ins Bett des Flusses fließt. Das sieht ungewöhnlich aus, wenn die Strömung des Flusses sich umkehrt: nicht zu Meer, sondern vom Meer weg.

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01.09.2023 Brigdetown. Tag 106 – 6352 Kilometer

Mein Standort heute Abend

Ein komfortables Bett und trotzdem eine unruhige Nacht. Die Angelegenheit mit meinem verlorenen Paß hat mich immer wieder beschäftigt. Aber auch unausgeschlafen ist die Strecke von heute zu bewältigen. Es geht nur siebzig Kilometer nach Brigdetown. Das Wetter spielt mit. Die Sonne scheint den ganzen Tag. So richtig warm wird es aber nicht mehr. Ich glaube zwanzig Grad haben wir heute nicht erreicht.

Warum nicht dem Morgen mit einer Steilwand beginnen? Digby im Morgengrauen

Die Strecke führte durch ein Tal Richtung Osten, immer im Annapolis River entlang. Die Strecke ist anspruchsvoll hügelig. Die Anstiege und Abfahrten sind kurz und dafür steil. Darauf muss ich mich erst wieder einstellen.

Es wird immer herbstlicher
Der Wasserstand Annapolis River ist noch durch die Gezeiten bestimmt.
Das noch salzhaltige Wasser macht in den Schwemmgebieten den Boden fruchtbar, habe ich gelesen.

Die Szenerie ist abwechslungsreich. Es gibt weniger große Farmen, dafür mehr kleinere Gartenbetriebe und Obstplantagen. Das Annapolis Valley ist hundert Kilometer lang und anscheinend ein beliebtes Ausflugsgebiet. Dem Aussehen der Häuser (vor allem in Annapolis) nach, auch eine Wohngegend für gut Betuchte.

Die Siedlungen im Tal sind oft malerisch. In jedem Fall aber sehr gepflegt.

In Annapolis habe ich eine deutsche Bäckerei aufgestöbert. Sächsisches Backhandwerk wurde plakatiert. Als ich dann im Laden stand, erlebte ich zwei maulfaule Damen. Ich konnte ihnen noch „aus der Nase ziehen“, daß sie aus Zwickau stammen. Viel Freude mit, und Engagement für ihren Laden war irgendwie nicht zu spüren. Schade! Ich glaube die Deutschen haben bei den Anglo-Kanadier einen Bonus. Darauf könnte man eigentlich aufbauen.

Ein Schweineohr war dann als Test für sächsisches Backhandwerk fällig. Es war leider so fade wie das Personal.

Gegen Mittag rief mich dann das Konsulat in Halifax an. Ich kann am Dienstag kommen. Mein Ersatz-Paß wird in Ort und Stelle ausgefertigt, so dass ich ihn gleich mitnehmen kann. Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Es gibt doch noch deutsche Beamte, die nach Lösungen suchen und Initiative zeigen. Anscheinend sind die aus Deutschland geflüchtet. Jetzt kann ich entspannt die letzten zwei Rad-Tage in Angriff nehmen.

Brigdetown , mein Etappenziel, liegt ungefähr in der Mitte des Tals. Es gibt ein paar ansehnliche Läden, die vom Standard abweichen. Das Rathaus suggeriert auch etwas Wohlstand in der Gemeinde.

Brigdetown. Das Rathaus.
„Die Wollige Ecke“ – mal ein Laden mit Phantasie
Ein richtiger Buchladen auf dem Land.
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